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Die PARTEI hat immer Recht
POLITIK | WAHL 2005 (15.08.2005)
Von Christian Tönnesen
Was soll man von einer Partei halten, die sich den nicht gerade geschmeidigen Namen Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, also kurz PARTEI, gibt?

Die Frage durfte der Autor dieses Artikels neulich in mehreren Gesichtern ablesen, deren Besitzer er gefragt hatte, ob sie nicht vielleicht dazu bereit wären ihm Unterstützungsunterschriften für die wahrscheinlich anstehende Bundestagswahl zu geben. Ich muss mich also schon zu Beginn ausweisen als Mitglied dieser merkwürdigen Vereinigung, die sich erst im Juli letzten Jahres formiert hat und sich in einigen Wochen anschickt das "Schröder-Regime zu stürzen" (PARTEI-Vorsitzender Martin Sonneborn).
Manche gaben etwas voreilig schon ihr OK für die Unterschrift, um es nach einer kurzen Erklärung zur PARTEI und deren Kernpunkte sofort wieder zurückzuziehen, da sie sich damit nicht identifizieren könnten. Der Hauptgrund ist wohl darin zu finden, dass sich viele Bürger unserer Bundesrepublik mit dem einzigen Thema und der Idee für die Initiative für die Gründung der PARTEI noch nicht so recht anfreunden mögen: 16 Jahre sind genug und die Mauer sollte wieder aufgebaut werden.

Denn die meisten Punkte des Parteiprogramms ("Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit", "Nachhaltige Reform des Gesundheitssystems", "Stopp dem Raubbau an unserem Planeten"), unterscheiden sich nicht besonders zu denen der anderen Parteien, man gibt sogar unumwunden zu, dass man vieles von den größeren Parteien abgeschrieben habe; allerdings steht ganz zum Schluss auch (unter dem Punkt "Neugliederung des Bundesgebietes"), dass "die fünf Länder Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (...) zu einem starken Ost-Bundesland zusammengefasst werden". Dieses soll dann eine "Sonderbewirtschaftungszone (SBZ)" bilden und "auch baulich vom Rest der Bundesrepublik abgetrennt werden". Als PARTEI-Mitglied gilt man dann erst einmal für die meisten als reaktionär und sie wenden sich von einem Menschen ab, der mit solch einem Tabuthema so verhaftet ist. Um die Situation zu retten und die Unterschrift eventuell doch noch zu bekommen, schob ich dann immer nach, dass die PARTEI von dem Satiremagazin Titanic gegründet worden sei und der gesamte Vorstand aus der Redaktion bestehe. Hierauf kam dann häufig, da man sich offensichtlich erheitert im Bilde zu wissen schien, dass es sich also um eine Spaßpartei handle. Dieser "Vorwurf" ist natürlich naheliegend, zur Ernsthaftigkeit äußert man sich von Seiten der PARTEI kaum. Von Sonneborn gibt es in dieser Hinsicht nur zwei Äußerungen, dass es nämlich ein "ernsthaftes Austesten" und man selbst "keine Spaßpartei wie die FDP" sei.

Die im ersten Moment irritierend trockene Forderung nach dem Maueraufbau wird aber tatsächlich, wenn man sich sonst noch etwas näher mit der PARTEI beschäftigt, flankiert von vielen komischen Elementen und Aktionen. So forderte z. B. der Ortsverband Dresden (es gibt auch Orts- und Landesverbände im Osten) den Abriss der Frauenkirche, um mit den Steinen das Material für den Maueraufbau zu liefern, woraufhin man sich auch sofort in die Dresdner Fußgängerzone begab, wo Passanten kleine Gipsfrauenkirchen zertrümmern konnten. Des Weiteren wurde für den Nachwuchs eine Hintner-Jugend gegründet (Tom Hintner ist Titanic-Redakteur und selbstverständlich Mitglied im PARTEI-Vorstand), in der man sich den offiziellen Gruß "Hi Hintner!" zuruft.
Wo sie nur kann, macht die PARTEI immer wieder deutlich, dass sie nicht imstande ist, mehr zu bieten als Inhaltsleere und Populismus. So war der Parteiname Synonym für die SED in der DDR, wovon man sich bei Wahlen in den ostdeutschen Ländern bis zu 99% der Stimmen verspricht und die Füllwörter wie Arbeit, Tierschutz, Elitenförderung etc. klingen gut, dienen aber natürlich nur zur Aufrechterhaltung der Namensidee. Niemand hat diesen Punkt einmal deutlicher zur Sprache gebracht als der Ehrenvorsitzende der PARTEI Oliver Maria Schmitt auf dem GründungsPARTEItag in Nordrhein-Westfalen: "Wir sind eine Partei, weil wir eine Partei sein wollen. Und umgekehrt!"
Unter dem Motto "Frau ja - aber schöner" findet momentan ein Kanzlerkandidatinnencasting in dem "offiziellen Parteiorgan Titanic" statt, um am 18. September "das Merkel" zu verhindern, die natürlich, wie könnte es anders sein, hinter die Mauer gesperrt werden soll.

In meinen Augen ist der Titanic mit der PARTEI-Gründung ein meisterhafter Satirestreich gelungen, um gewisse politische und gesellschaftliche Verhältnisse verzerrt und übertrieben zu spiegeln: Bis vor kurzem erfreuten sich "(N)ostalgieshows" großer Beliebtheit im deutschen Fernsehen und ohnehin jammern die Ossis, darüber, dass früher so vieles besser war und die Wessis so arrogant sind; die Wessis hingegen finden es nicht so gut, dass das mit ihrer Wirtschaft nicht mehr so klappt und schieben es auf die Ossis (man erinnere sich an das Spiegel-Titelthema vor einigen Monaten: Milliardengrab Ost) und jammern wieder ihrerseits, dass die Ossis so viel jammern. Dass wir kein Volk sind, beweist doch wohl die Rechtschreibkorrektur von Microsoft, die mich beständig darauf hinweist wie Ossi und wie Wessi zu schreiben seien.

Ob man in der PARTEI-Zentrale (die übrigens in der Mauerstraße in Berlin liegt - kein Scherz) wohl damit gerechnet hat, dass die gestandene Politik es einmal fertig bringen würde die Satire einzuholen, weiß ich nicht, jedenfalls hatte man die passende Antwort parat. Als Edmund Stoiber in der letzten Woche von sich gab, dass nicht alle Menschen so klug wie in Bayern sind und es ihm nicht so recht behage, dass Frustrierte die Bundeskanzlerin (oder nach diesen Aussagen, die ja fast einem Irakkrieg gleichkommen können, vielleicht sogar doch noch über den Bundeskanzler?) bestimmen, gab die PARTEI in einer Pressemitteilung auf ihrer Homepage bekannt:

Der Wahltermin rückt näher, und die CSU rückt zur PARTEI auf. Nachdem Edmund Stoiber, Landesführer der Bayern, die Position der PARTEI übernommen hat, daß die Deutschen von drüben und hüben eben nicht ein gemeinsames Deutschland repräsentieren, sieht sich Die PARTEI Krefeld zu einer Stellungnahme gezwungen:

1. Edmund Stoiber ist nicht Mitglied der PARTEI.

2. Der Wiederaufbau der Mauer und die Errichtung einer SBZ (Sonderbewirtschaftungszone) auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist die zentrale Position der PARTEI.

2. Stoibers Stellungnahme zur Teilung Deutschlands in Frustrierte und Nicht-Frustrierte ist nichts weiter als der untaugliche und überaus perfide Versuch, in fremden Gewässern nach Stimmen zu fischen.

3. Die Gründung des Landesverbandes der PARTEI in Bayern scheint Herrn Stoiber so zu beunruhigen, daß er nun in letzter Sekunde mit solchen Äußerungen mögliche PARTEI-Unterstützer aus den eigenen Reihen signalisieren will, die CSU decke bereits das PARTEI-Programm ab.

4. Auch in Bayern wird Die PARTEI auf dem Wahlzettel stehen. Da mag Herr Stoiber sich winden und wenden wie er mag.

i. A. des Kreisvorstands
Andreas Stolte, Schatzmeister
Die PARTEI - Kreisverband Krefeld


Im übrigen wurde die PARTEI am 12. August vom Bundeswahlausschuss zur Bundestagswahl zugelassen. Dass die PARTEI für den Wiederaufbau der Mauer plädiert, störte den Ausschuss nicht. Schließlich äußerten sich große Volksparteien derzeit ähnlich.

Weiterführende Links
http://www.titanic-magazin.deTitanic - Das endgültige Satiremagazin
   



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